„Bemal doch das Buch.“ Das Kind, das seit Tagen im Hollandurlaub alles um sich herum bemalt, was nicht niet- und nagelfest ist, sieht mich ungläubig an.
„Ja,“ sage ich. „Warum denn nicht?“
Das Werk, um das es geht, ist noch recht neu und ohne Schutzumschlag schneeweiß, inzwischen mit leichten Gebrauchsspuren. Es ist ein Rezensionexemplar meines Lieblingsverlags, und ich bin mir jetzt gar nicht so sicher, was die wohl dazu sagen werden. Die Geschichte darin ist von Anfang bis Ende ganz zauberhaft, und wenn das Buch nächsten Monat rauskommt, werde ich darüber schreiben, das es mein allerliebstes Sommerbuch* ist.
Der nette Mensch vom Verlag, der mir das Buch geschickt hat, achtet übrigens gut auf seine Bücher, davon bin ich überzeugt.
Ich weiß, dass wir beide Tippfehler hassen und Texte immer perfekt haben wollen. In Sachen Buchpflege bin ich aber offenbar ganz anders als er. Ich zerknittere Einbände direkt nach Erhalt, hinterlasse Knicke in Seiten und klebe bunte Washi-Tapes an gute Stellen. Ein Buch, das von mir gelesen wurde, sieht folglich ziemlich mitgenommen aus. Oder besser: es sieht geliebt aus. Ein bisschen zerzaust, aber glücklich dabei.
Das Kind ist inzwischen mit dem Buch in seinem Zimmer verschwunden.
In den Siebzigern, als sich meine Mutter gerade für Psychologie interessiert hat, haben wir als Grundschulkinder in ihren Sigmund Freud reingekritzelt. Meine Mutter hat das nicht sonderlich gestört, sie hatte ja Ruhe zum Lesen. Überhaupt waren die Bücher meiner Kindheit eher sowas wie Grundnahrungsmittel, wobei das viel zu hochgegriffen klingt. Sie lagen überall herum und wurden verschlungen, vom Krimi bis zum Sprachenlernbuch. Immer kamen neue, teils kuriose Themen dazu. Bei anderen Leuten lag die HÖRZU auf dem Klo, bei uns sowas wie „Chinesisch lernen, erster Teil“. Inklusive Zettel als Lesezeichen und Kritzeleien im Buch.
Das Kind bringt mir mein Lieblingsbuch wieder, und ich umarme das Kind, weil das Buch jetzt noch geliebter aussieht.
Bald wird mein Sommerbuch wieder mit Schutzumschlag im Regal stehen, und das Gemälde darunter wird versteckt sein. Vielleicht wird das Kind dann in paar Jahren nach Hause kommen und das Buch wiederentdecken, und es wird unter allen anderen Büchern etwas Besonderes sein.
Eigentlich perfekt, denke ich, wenn aus einem Buch ein Bild wird. Und aus einem Bild eine Geschichte. Und aus einer Geschichte eine Erinnerung. Und vielleicht, wer weiß das schon, wird aus dieser Erinnerung ja irgendwann wieder ein Buch.